Meine Position


„Position“ heißt hier niemals Stellungnahme zu diesem oder jenem (aktuellen) Geschehen. Ich äußere mich ausschließlich zu literarischen, evtl. auch zu historischen Dingen.

1981


Moderne Geschichte?

Man hat mich gefragt, warum meine historischen Erzählungen so modern ausgestattet sind. Die Antwort scheint mir darin zu wurzeln, dass man heute nicht mehr wie vor zwanzig, dreißig Jahren schreiben kann. Dafür gibt es zwei Gründe.
Die Phantastik hat sich zu einer fast unentbehrlichen Methode entwickelt. Zunächst ist jede Darstellung der Vergangenheit notwendig phantastisch. Selbst wenn man die Lücken der Geschichtsschreibung übersähe – kann ein heutiger Leser das Denken und Fühlen eines Bronzezeit-Menschen begreifen? Keineswegs. Im Gegenteil, je realer der Autor die damaligen geistigen Verhältnisse reproduziert, desto unverständlicher und wertloser wird die betreffende Figur für den Leser. Die Akteure einer Handlung sollen historisch real und literarisch wirksam sein. Je weiter man sich von der Gegenwart entfernt (nach beiden Seiten übrigens), desto unmöglicher wird es, beide Forderungen zu vereinigen.
Um mich aus dieser Zwickmühle zu befreien, schien mir eine vorsichtige Modernisierung der Figuren das geringere Übel. Darum denken und reden meine Helden beispielsweise rational. Könnten wir ihnen sonst folgen, ihnen zustimmen, ihre Fehler erkennen, sie tadeln? – Aus dem ersten Schritt folgt der zweite: Die reale Geschichte engt ein – zeitlich, geistig, technologisch usw. –, warum nicht zu einer imaginären (den Wünschen des Autors genehmen) Geschichte übergehen? Freilich muß sie gewisse „Randbedingungen“ erfüllen. In der Gegenwartsliteratur ist das Benutzen fiktiver Orte durchaus gebräuchlich. Darum glaube ich, dass die Pseudohistorik bislang zu Unrecht vernachlässigt wurde.
Man muß als Zweites akzeptieren, dass der heutige Leser ein Konsument verschiedener Medien ist und durch Film und Fernsehen gewisse Situationen und Handlungselemente schon oft und reich variiert erlebt hat. Daher sollte sie der Autor kurzerhand als bekannt voraussetzen. Insofern kann sich die Literatur heute stärker auf ihre spezielle Aufgabe konzentrieren: Gedanken, Gefühle, Assoziationen, Erkenntnisprozesse usw. Was damals geschah, kann der Film bisweilen leichter und anschaulicher darstellen; wie es geschah, fällt seinen Mitteln ebenso leicht. Aber das Warum-Warum-nicht kann nur die Literatur bewältigen. Sie kann übrigens auch Fragen für den Leser offenlassen.
Daraus ergaben sich für mich anfangs ungewohnte Schwerpunkte – sie machen die Situationen und Personen automatisch moderner. Womit wir wieder am Anfang stünden.
Aus „Bestandsaufnahme 2“, Halle-Leipzig, 1981, © Rolf Krohn
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