Rolf Krohn: Der Stern von Granada
© Bernd Wiese
Rolf Krohn legt hier einen historischen Roman vor, der in der Zeit spielt, als ein Teil der Iberischen Halbinsel unter der Herrschaft der Mauren stand. Wir begegnen Said aus dem Hause der Nasriden, der sich als blinder Passagier auf ein Schiff begibt und dort bald Schiffsjunge wird.
Da er jedoch adliger Abkunft ist, finden wir ihn sechs Jahre nach seiner Seemannszeit als Kommandanten einer Festung an der Grenze zu Kastilien wieder. In dieser Funktion gerät er in eine Verschwörung gegen den Sultan von Granada hinein, einen entfernten Verwandten von ihm. Die Söhne des Sultans werden bei einem heimtückischen Überfall getötet, und auch der Sultan wird verletzt. Vermutet man zunächst, es sei ein Übergriff der christlichen Kastilier, stellt sich bald heraus, dass sich der Feind in den eigenen Reihen befindet. Es ist Said zu verdanken, den wahren Drahtzieher des Anschlags zu entlarven.
Bevor der Sultan an den Folgen seiner Verletzung stirbt, bestimmt er Said zu seinem Nachfolger als Sultan von Granada.
Wieder sind sechs Jahre vergangen. Said ibn Omar herrscht als Sultan von Granada. Er ist ein reifer und weiser Herrscher. Ihm gegenüber steht der junge kastilische König Alfonso, ein Heißsporn, der noch dazu schlechte Berater hat. Diese, allen voran der Großinquisitor Jimenez, drängen zum Krieg und wollen den für zwanzig Jahre festgesetzten Friedensvertrag mit Andalusien eher heute als morgen aufkündigen.
Said ist an Handel und Kontakten nach außen interessiert. So unterstützt er Expeditionen nach (West-)Indien und hält Verbindungen mit den Kaufleuten in Pisa und Anglistan. Er will das Landrecht reformieren, da der Koran zu einigen Sachverhalten keine Auskunft geben kann, und beginnt damit, ein Seerecht ausarbeiten zu lassen.
Seine politische Führung ist gekennzeichnet durch Toleranz. Dies führt dazu, dass er sich auch den Vertretern eines radikalen islamischen Kurses entgegenstellt. Doch all sein Trachten nach friedlichem Nebeneinander hat keinen Erfolg, denn der kastilische König will unbedingt die Reconquista und die Befreiung der Iberischen Halbinsel von den Mauren. Dazu erhält er sogar ausdrücklich den Dispens vom in Avignon residierenden Papst.
Der „Stern von Granada“ hat eine doppelte Bedeutung. Zum einen nennt man den neuen Herrscher Sultan Said ibn Omar so, zum anderen ist es ein astronomisches Ereignis, ein Meteorit oder Ähnliches, dessen Sichtbarkeit die Geschichte verändert. Während aus einem Ausreißer und blindem Passagier ein tüchtiger Seemann wird, der zum Herrscher von Granada aufsteigt, beeinflusst das Himmelsereignis die kastilische Regentin, die nun die Einrichtung der Inquisition zulässt (etwa hundert Jahre früher als in der realen Geschichte) und damit eine fatale Entwicklung einleitet.
Im „Neuen Stern Nr. 55“ befassten wir uns bereits unter dem Titel „Uchronie“ mit alternativer Historie. Rolf Krohns „Der Stern von Granada“ ist ein hervorragendes Beispiel für derartige Geschichten, in denen oftmals nur ein kleines Detail an einem Knotenpunkt der geschichtlichen Entwicklung für den weiteren – anderen – Verlauf bedeutsam sein kann.
Da die meisten Leser wohl nicht allzu viel über die Geschichte der Iberischen Halbinsel im 14. Jahrhundert wissen, wurde der Roman mit einem umfangreichen Nachwort versehen, in dem Gerd Bedszent (geb 1958, Journalist, Sachbuchautor und Schriftsteller) den realen Verlauf der Geschichte der Maurenherrschaft wiedergibt und diesen mit der Handlung des Romans ins Verhältnis setzt.
Rolf Krohn, am 25. Oktober 1949 in Halle (Saale) geboren, hat in bekannter Weise (vergleichbar mit seiner Kreta-Trilogie, bestehend aus „Das Labyrinth von Kalliste“, „Mord für die Macht“ und „Vier Säcke Silber“) für seinen Roman wieder eine umfangreiche Recherche betrieben und das Ergebnis unter der Prämisse „Was wäre wenn?“ in eine interessante und spannende Handlung umgesetzt.
Quelle: „Neuer Stern“ (Rundbrief an die Freunde des ASFC Halle) [dort unter Nr. 58, S. 42ff]