(Bibliografie, Romane, Granada, Buchbesprechungen):   expliziter Text 3

 

Eine Fiktion historischer Ereignisse

© Prof. Dr. Rüdiger Bernhardt

21. August 2020

Am 25. Oktober 2019 wurde der Hallenser Schriftsteller Rolf Krohn siebzig Jahre. Er ist ein bekannter und erfahrener Schriftsteller (vgl. unsere zeit vom 2. September 2005, S. 13), hat zahlreiche Bücher geschrieben – Romane, Erzählungen –, die ihr Publikum gefunden haben. Mancher wird sich überlegen: Wieso scheint der Name so unbekannt zu sein? Die Antwort ist einfach, aber auch beschämend für die Fragenden: Rolf Krohn schreibt Sciencefiction und gehört dort zu den prominenten Autoren. Diese Literatur hat ein eigenes Publikum, einen eigenen Markt, eigene Verlage und Vertriebssysteme. Doch ist es ein Versäumnis, dieser Literatur zu geringe Aufmerksamkeit zu schenken, weil sie zu wenig aktuellen Entwicklungen und im Fall unserer Zeitung politischen Anliegen gerecht würde. Die Romane und Erzählungen Rolf Krohns zeigen das Gegenteil. Sie sind trotz der teils phantastischen Ereignisse von brennender Aktualität, wie sein Roman Der Stern von Granada beweist. Der Roman erfüllt Erwartungen an aktuelle Thematik und gesellschaftliche Orientierungen, geschildert am „Vertrauen beider Religionen“, dem Islam und dem Christentum. Die Ursache? Rolf Krohn gilt als anerkannter Vertreter des Genres und als herausragender und wissenschaftlich geschulter Rechercheur mit Sinn für Toleranz.
Sein Roman „:Der Stern von Granada“ ist ein handlungs- und dialogreicher historischer Roman. Er setzt mit einem Kometen 1319 ein, der wesentliche Entscheidungen auf islamischer und christlicher Seite auslöst, die es historisch nicht gegeben hat: Das sind der Aufstieg des toleranten Herrschers Said aus dem Hause der Nasriden, der Sultan von Granada wird, auf islamischer und der Beginn der Inquisition, einschließlich von Folter und Verbrechen, unter Alfonso XI. von Kastilien auf christlicher Seite. Die Handlung wird ab 1325 in einem wirtschaftlich und kulturell beispielhaften Granada unter maurischer Herrschaft entwickelt: Kultur und Wissenschaft stehen in Blüte, geprägt von islamischen Traditionen, die sich gegen aggressive Ansprüche wehren. Das führt trotz der Vorzüge des islamischen Reiches zum Niedergang. Der Roman führt das auf besagten Meteor zurück, den Stern von Granada, den es jedoch nie gegeben hat. So entsteht eine Variation der in Sciencefiction verbreiteten möglichen Geschichtsschreibung, ein utopisches Element des Romans. Es dient dem Autor, verschiedene Möglichkeiten historischer Entwicklung zu diskutieren und zu fragen, wie sie sich entwickeln und von welchen Faktoren sie abhängig sind. Ein anderes ist, dass die Handlung bis ins 20. Jahrhundert geführt wird (Ausblick). Die aktuellen Vorgänge – ein europäischer Staat unter maurischer Herrschaft, der „die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs“ erinnert, voller Toleranz und sozial-gesellschaftlicher Blüte – finden sich nach dem Nachwort, mit Absicht und bedacht, denn das Kapitel Jahrhunderte später ist nicht utopisch, sondern in Anbetracht der aktuellen weltweiten Spannungen und Vernichtungspläne märchenhaft wie eine Geschichte aus 1001 Nacht: „Wäre eine andere Welt möglich?“ fragt das Nachwort.
Prinzipien dieser Welt werden zu Beginn von Said auf dem Schiff gelebt, mit dem er als blinder Passagier, durch das Erscheinen des Sterns bestätigt, aufbricht. Das Schiff ist ein Modell des Zusammenlebens, „an Bord darf es keinen Religionszwist geben“: Said begreift das als ein Prinzip politischen Wirkens und versucht später, den Grundsatz in einem „Silbernen Gesetzbuch“ zu verwirklichen, außerdem hielt „der Soldat Said Frieden“ (179). Den Gegensatz löst der Stern bei den Spaniern aus, wo Teresa (Maria de) Molina, die Regentin für den minderjährigen Alfonso XI., den Stern als Weisung sieht, die Inquisition einzuführen. Der Papst bricht schließlich den Vertrag mit den Mauren, der die Waffen schweigen ließ (254).
Die Qualität des Romans ist die Folge des literarischen Könnens von Rolf Krohn, aber auch der gründlichen Recherche des Autors über die historische Zeit, die als Vergleichsobjekt für die Gegenwart dient. Hinzu kommt, dass der Autor mit wissenschaftlicher Gründlichkeit den historischen Vorgängen nachgegangen ist und diese durch Worterklärungen zu vermitteln versucht; sie geben Hinweise zu Historie und Personalgeschichte. Schließlich ist neben den historischen Kenntnissen das wissenschaftlich technische Wissen des Autors, eines Physikers, von Bedeutung. So kommt ein handlungsreicher, spannender Roman zustande, dessen Inhalt nur angedeutet werden kann, will man den Rahmen einer Rezension nicht sprengen, aber er ist auch ein Modell für historische Entwürfe, die möglich gewesen wären, und der Ursachen für tatsächliche Entwicklungen. Keinen Zweifel lässt Rolf Krohn, dass es ihm bei der spannenden Handlung in einem feudal geprägten islamischen Reich, in dem Ansätze der Neuzeit zu erkennen sind, um mehr als diesen Zeitabschnitt ging: Er stellt die Frage, ob eine europäische Entwicklung mit einem modernen islamischen Staat denkbar gewesen und welche Faktoren dafür notwendig gewesen wären. Er stellt auch die Frage, in welcher Weise der Islam zu Deutschland und zu Europa gehört. Krohns Stern, der als wegweisende Erscheinung an den Stern von Bethlehem erinnert, ist die Metapher für historische Möglichkeiten. Er nimmt eine Tradition auf, die bis in die Antike zurückreicht und in der Himmelserscheinungen als Ankündigungen historischer Ereignisse verstanden wurden.
Die szenenreiche Handlung wird sprachlich nicht aufwändig beschrieben; Reflexionen und Betrachtungen finden sich kaum, zumeist erscheint das Geschehen schmucklos, fast nüchtern. Es gibt eindrucksvolle Szenen, so wenn der Großinquisitor in einem Ornat erscheint, das er aus maurischen Schätzen entwendet hat, ohne dessen Ornamente als arabische Schriftzeichen zu erkennen, die seinem Auftrag widersprechen. Durch wiederkehrende zeitliche Abstände – vorwiegend im Sechserrhythmus – kann sich der Leser orientieren, ebenso durch leitmotivisch verwendete Namen wie Said, der in verschiedenen Verbindungen erscheint (331, 357) und wie eine Reinkarnation des ursprünglichen Said erscheint. Eine kurze Zusammenschau (Der Kristall) versetzt die Romanhandlung zurück in die reale Geschichte, die anders verlief, nicht so erfolgreich für die Mauren und ihre Toleranz, sie siegten nicht, und Granada ging unter.
Den Roman begleitet ein Nachwort des links engagierten Schriftstellers Gerd Bedszent (geb. 1958), der die Beziehung zwischen dem mittelalterlichen Geschehen und den Gefahren der Gegenwart wohltuend sachlich und eindrücklich verfolgt und mit den Worten schließt: „Es ist jedenfalls schön, sich eine Welt vorzustellen, in der kein Donald John Trump über ein gigantisches Arsenal an Atomwaffen gebietet.“ Ein Roman, der zu einer solchen Vorstellung veranlasst, gehört auf die Angebotsliste an Büchern in einer sozialistischen Wochenzeitung.

Rolf Krohn: Der Stern von Granada. Edition TES im Ulenspiegel Verlag: Waltershausen und Erfurt, 2019, 368 Seiten, 15,80 €