(Sonstiges)   Leseprobe Kurzgeschichte

Kurzgeschichten sind eher auf einen Effekt hin konzipiert als auf gründliche Beschreibungen oder Betrachtungen zu Hintergründen.


Unternehmen „Erde“

A

Exakt um 2.07 Uhr Greenwicher Zeit landete das Zwölfte Kampfgeschwader als Vorausabteilung der Invasionsflotte in einem Flusstal auf dem Kontinent C – sieben Minuten zu spät allerdings. Kommandos der elf Kreuzer besetzten die zur eigentlichen Landung vorgesehene Fläche, suchten umsonst nach Fallen und installierten Peilstrahler, die nunmehr Welle für Welle herabdirigierten.
Zwischen den Wolken schwebten derweil die riesigen Kugelschiffe des Schlachtgeschwaders. Tod und Verderben würden sie über ganze Landstriche bringen, falls es nottat. Auch in jedem Raumkreuzer warteten misstrauische Techniker, den Finger am Abzug der Feuerspucker. Hochmotiviert war selbst der letzte Soldat und bereit, das Äußerste zu wagen, sollte es zum Gefecht kommen, denn das Imperium brauchte das Kobalt dieser Welt.
Jedoch ... Nichts geschah. Die intelligenten Bewohner des Planeten – wie die Funkhorcher seit langem wussten, nannten sie sich Menschen – sahen vielmehr neugierig zu. Nirgendwo tauchten Waffen auf. Sobald die ungefügen Vernichter in andere Positionen geschoben wurden, traten die Menschen freundlich beiseite, boten sogar schüchtern ihre Hilfe an.
Ein perfider Trick! Natürlich fiel kein Imperiumskrieger darauf herein.
Nach knapp zwei Stunden waren tausend Schiffe gelandet, und die Ebene glich einem überdimensionierten Billardtisch. Aus den Kugelraumern strömten Soldaten mit entsicherten Strahlwaffen. Kräne luden Panzerfahrzeuge und Deltagleiter aus.
Die Zuschauer, sie freuten sich darüber. Sie lachten!
Die Invasoren wurden nervös, erhöhten die Alarmstufe der Reserve im Orbit, die gegebenenfalls die Atmosphäre in ein Flammenmeer verwandeln sollte. – Waren die Menschen dermaßen überrascht? Im Stab glaubte niemand daran. Die Flotte war spätestens an der Bahn des siebenten Planeten entdeckt worden. Jedenfalls wurden seither codierte Funksprüche aufgefangen. Wenn sie auch noch nicht dechiffriert werden konnten – die Erde wusste Bescheid. Kein Widerstand? Sehr eigenartig.
In der Endphase des Unternehmens „Erde“ waren nicht einmal mehr diese Codetexte empfangen worden. Gehörte das womöglich zu einem Plan? Glaubten sich die Menschen gewappnet? Machte die ungeheure Machtentfaltung sie nicht einmal unsicher?
Obwohl alles wie bei der Generalprobe daheim ablief, blieb die Alarmstufe bestehen. Gab auch selbst der ärgste Pessimist den Menschen keine Chance mehr – nichts riskieren!
„Uns gehorcht die halbe Galaxis“, erklärte Tiz, der Kommandierende Admiral. „Wir sind jedem Hinterhalt und allen Gegenschlägen gewachsen. Was immer sie planen, sie verrechnen sich.“
„Wünschen Sie eine Fernsehansprache zu halten?“, fragte ein Adjutant. „Wir können uns in ihre Kanäle einblenden.“
„Wozu, Gombar? Die Menschen sind längst bedeutungslos.“
Ein Offizier mittleren Ranges eilte in den Raum. „Admiral, eine Abordnung der Eingeborenen bringt die gesamtplanetare Kapitulation.“
„Nehmen Sie sie entgegen! Oder ... Lasst sie vor! Eine Sicherungseinheit soll sich bereithalten.“
Der Offizier salutierte und verließ die Kommandeure. Wenig später führten Kampfroboter die Erdbewohner herein.
Man kannte ihr Aussehen längst; aber es war doch seltsam, sie direkt vor sich zu haben: nur je zwei Augen und Ohren! Und erst die Glasmaske vor dem Gesicht! Wie sollte man da vernünftig sehen und hören! Bloß zwei Arme und zwei Beine! Bestimmt bereitete ihnen jeder Schritt enorme Probleme. – Nun ja, Monsterwesen!
„Herhören!“, erklärte der Admiral barsch. „Versteht ihr unseren Übersetzungsautomaten?“
Die Maschine auf dem Tisch quarrte. Daraufhin nickten die Menschen hastig mit dem Kopf. Offenbar bedeutete das Zustimmung, denn wenig später dolmetschte der Apparat die zugleich ausgestoßenen Laute in ein „Jawohl!“.
„Unsere unüberwindliche Flotte“, legte Tiz daraufhin los, „hat mittlerweile mehrere Punkte eures Planeten besetzt. Ihr seid besiegt. – Wir erwarten Gehorsam. Widerstand würden wir gnadenlos brechen. Unsere Waffen sind moderner als alles, was ihr euch vorzustellen vermögt.“ Er starrte die Unterhändler grimmig an. Angesichts der Situation wagte natürlich niemand einen Einwurf.
„Auf Grund ihres Baus ist die Erde für uns wichtig. Man wird ihre Bahn ändern und andere Korrekturen vornehmen, damit wir die Rohstoffe leicht abbauen können, zumal das Kobalt. Für Regionen, die wir nicht brauchen können, setze ich einen Hochkommissar ein. Seinen Weisungen ist widerspruchslos Folge zu leisten, was eine schöpferische Diskussion nicht ausschließt. Zieht euch in diese Reservate zurück! Niemand will euch ausrotten. Zum Umbau in eine akzeptable Lebensform taugt ihr ohnehin nicht.
Ach so, die Grenzen jener Zonen können im Bedarfsfall geändert werden. – Noch Fragen?!“
Es gab keine Fragen.
„Zu den Details. Als Erstes benötigen meine Sachgebietsleiter eine Liste aller Kobaltvorkommen dieses Planeten ...“

E

Exakt um 19.14 Uhr Greenwicher Zeit hob der letzte Raumkreuzer des Vierzigsten Kampfgeschwaders, der Nachhut, vom Boden ab. Wiederum schauten viele Menschen zu. Ihre Mienen verrieten – das ermittelte der Psychocomputer – untröstliche Trauer. Ihnen musste klar sein, dass die Invasoren auf Nimmerwiederkehr gingen.
Zu dieser Minute kreuzte das Flaggschiff die Marsbahn. In düsterer Stimmung besprach der Kriegsrat den Abschlussbericht.
„Was wird der Imperator sagen, was der Generalstab? Für diese Kosten hätte man wer weiß was bauen können!“
„Nicht zu reden vom Risiko! Unsere Kampfgeschwader werden wohl nicht beizeiten gegen die Leute der Fünfzehn Sonnen und gegen das Gesindel vom Vierecksnebel eingesetzt werden können.“
„Eines begreife ich nicht“, rief Admiral Tiz plötzlich. „Ob wir abziehen oder den Problemen zum Trotz dennoch bleiben würden, konnten die Menschen nicht ahnen. Wieso jubelten sie uns zu? Weshalb schenkte man uns die Erde quasi? In allen Sternsystemen wurde uns erbitterter Widerstand entgegengesetzt. Nun gut, wir siegen immer – doch das konnten die hier nicht wissen.“
Der Sachverständige verzog seinen linken Mund zu einem mokanten Lächeln und erwiderte: „Ich habe einen Teil der Funksprüche entziffert. – Einige wollten sich verteidigen; und mir scheint, wenn wir geblieben wären, hätten sie es auch versucht. Die anderen aber ...“
„Die Mehrheit?“, fragte der junge Gombar rasch.
„Schwer zu entscheiden. Ich habe doch nur die Signale. – Diese anderen hofften, wir würden ihre Probleme lösen. Für uns ist das hier eine Blamage, für sie ist es viel ärger. Die Raumhopser ihrer Chemo-Raketen zählen ja nicht, sie sind also an ihre Welt gebunden.
Es ist zwar eine seltsame Logik und auch nicht unsere, aber es ist logisch: Die sich untereinander nicht zu einigen vermochten, einigten sich flugs darauf, uns als Herren anzuerkennen.“
„Uns ihre Arbeit aufzubürden! Das sollten Sie sagen. Die hier sind fast noch Wilde und haben schon alle Schätze vergeudet. – Statt aus den Erzadern hätten wir das Kobalt und die anderen Metalle aus dem Müll kratzen müssen. Das ist unter allen Lebensformen einmalig!“
„Ganz recht, Admiral. – Oh, ich kann ihre Enttäuschung nachfühlen. Selbst wir, die Beherrscher der halben Galaxis, vermögen ihren verschmutzten und verpesteten und ausgepowerten Planeten zu gar nichts mehr zu gebrauchen – und sie sollen da leben!“

© 1980, Rolf Krohn

 

Anmerkung

• Die Erzählung erschien in meinem SF-Sammelband „29 Sternschnuppen“.